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Andre Sluiter

Grablegung - Golgatha (24)


Inzwischen ist es Abend geworden. Ein Mann betritt das Prätorium in Jerusalem. Sein Name ist Joseph. Er kommt aus Arimathia, einer Stadt der Juden. Joseph ist ein reicher Mann. Und angesehen ist er! Als Ratsherr ist er Mitglied des höchsten jüdischen Gerichts, dem Synedrium. Jedes Urteil, das hier gefällt wird, ist bindend für alle Juden. Doch heute würde Joseph etwas tun, was er noch nie getan hat. Er würde sein ganzes Ansehen aufs Spiel setzten.


Mutig geht er zu Pilatus und bittet ihn um den Körper des Herrn. Pilatus wundert sich, dass Jesus schon gestorben ist. Er lässt seinen Hauptmann kommen und fragt nach. Joseph wartet. Der Hauptmann bestätigt den Tod des Herrn. Er hatte ja genau gegenübergestanden, als Jesus schrie und starb (Mk.15,39). Damit hatte sich das ungerechte Urteil, dass Pilatus gefällt hatte, unabwendbar vollzogen. Er hatte aus egoistischen Gründen für den Tod eines unschuldigen Menschen gesorgt. Seine Reaktion lässt keine Gewissensbisse erkennen. Großmütig schenkt er Joseph den Körper des Herrn. So, als sei er sein Besitz. Damit war der Fall für ihn erledigt.


Joseph verlässt das Gebäude und geht durch die Straßen Jerusalems. Er kauft feines Leinentuch. Dann macht er sich auf den Weg nach Golgatha, das Leinentuch unter seinem Arm. Heute, an diesem Freitag, würden die Menschen sehen können, dass er diesen verachteten Jesus liebte. Joseph ist ein Jünger des Herrn, aber ein verborgener. Niemand weiß, was er wirklich empfindet, was er wirklich über den Heiland denkt. Zwar hatte er im Synedrium, als es darum ging Jesus zu töten, nicht eingewilligt, aber er hatte sich auch nicht vor allen Menschen als sein Jünger zu Ihm bekannt. Das sollte heute Abend anders werden.


Auf Golgatha angekommen, tritt er an das Kreuz des Herrn. Dann macht er sich an die Arbeit. Der Körper des Herrn muss vom Kreuz genommen werden. Er soll würdevoll bestattet werden und nicht auf dem Friedhof, wo üblicherweise die Verbrecher, die Gottlosen bestattet wurden (Jes.53,9). Was für ein Bild. Dieser reiche, gut gekleidete Mann macht sich an dem Kreuz zu schaffen. Er zieht die Nägel aus dem Holz und nimmt den leblosen Körper des Herrn vom Kreuz. Vor den Augen der Menschen, die jetzt noch dort waren.


Nikodemus kommt dazu. Auch er hatte sich bis heute nicht auf die Seite von Jesus dem Nazarener gestellt. Als er einmal eine Frage hatte, hat er den Herrn im Dunkeln aufgesucht (Joh.3), in der Nacht. Er war Pharisäer, ein Oberster der Juden und wollte nicht entdeckt werden. Später hat er dann einmal einen zaghaften Versuch unternommen, sich für den Herrn einzusetzen (Joh.7). Damals war er noch „einer von ihnen“ gewesen (Vers 50). Aber auch bei ihm soll das heute anders werden! Er bringt eine Mischung aus Myrrhe und Aloe mit. 100 Pfund! Das sind 33 Kilogramm.


Gemeinsam wickeln sie den Herrn in das reine, feine Leinentuch. Zusammen mit den Gewürzsalben, so, wie es bei den Juden üblich war. Es kümmert sie nicht, was die anderen denken, was in den nächsten Tagen über sie erzählt würde. Ihre Herzen gehören diesem Mann von Golgatha. Jeder darf es wissen!


In der Nähe Golgathas ist ein Garten. Joseph hatte sich dort eine Gruft aushauen lassen. Gemeinsam tragen sie den Körper des Herrn dorthin und legen ihn in die Gruft. Hier hatte noch nie jemand gelegen.


Die Frauen, die am Kreuz aus der Ferne zusahen, sind dabei und verfolgen die Grablegung. Dann rollt Josef einen schweren Stein davor…


Hier endet die Beschreibung dieser letzten Szene von Golgatha. In allen vier Evangelien ist sie zu lesen (Mt.27,57-61 | Mk.15,42-47 | Lk.23,50-55 | Joh.19,38-42). So sehr schätzt Gott, was diese Männer getan haben. Joseph, dieser gute und gerechte Mann und Nikodemus. Durch ihre Arbeit erfüllt sich erneut ein prophetisches Wort: „Man hat sein Grab bei Gottlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tod“ (Jes.53,9). Gott wacht über den Körper Seines Sohnes. Kein Ungläubiger hat ihn nach Seinem Tod berührt. Angemessen wird Er bestattet. Bei einem Reichen! „weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Mund gewesen ist.“ (Jes.53,9).


Ich frage mich, was Joseph und Nikodemus bewegt hat, aus dem Schatten zu treten. Vor den Augen ihrer Berufskollegen, den Führern des Volkes, die Fassade fallen zu lassen. Diesen Seitenwechsel vorzunehmen und durch ihre Tat zu dokumentieren: Diesen Jesus, den ihr hasst und umgebracht habe, lieben wir! Wir gehören nicht mehr zu euch! Die Antwort auf diese Frage ist nicht schwer. Sie waren auf Golgatha! Sie haben gesehen, was dort geschehen ist. Haben beobachtet, in was für einer einmaligen Weise der Heiland dort gelitten hat. Auf der einen Seite die nicht zu überbietende Bosheit der Menschen und die unglaublichen Qualen. Auf der anderen Seite die Willigkeit und Hingabe des Heilands. Seine Liebe zu den Menschen. Die Freundlichkeit Seiner Worte. Sein einzigartiger Blick. Nach diesem Tag war alles anders. Golgatha hatte sie verändert.

Meine Andacht über Golgatha endet hier. So viele unterschiedliche Szenen dieses denkwürdigen Freitags haben sich vor meinen Augen enthüllt. Dieser Ort, dieses Kreuz, dieser Heiland! „alles an ihm ist lieblich.“ (Hoh.5,16)


Du hast mich in meiner Andacht begleitet, bist mit mir dort gewesen – auf Golgatha. Wir standen vor dem Kreuz und haben Ihn gesehen. Hat Golgatha Spuren hinterlassen? „Größere Liebe hat niemand“ (Joh.15,13). Wir bleiben noch einmal stehen und drehen uns um. Wir schauen noch einmal zu diesem Kreuz. Wir sehen, wie Er uns freundlich anblickt und hören, wie Er sagt: „Das tat ich für dich! Was tust du für mich?“ Ja, wir sind schwache und versagende Menschen und doch: Unser ganzes Herz soll mit jeder Faser nur diesem Heiland gehören! Er kommt bald (Off.22,12)!


Dir will ich folgen, wohin Du gehst,
stets bei Dir bleiben, wo Du auch stehst.
Du bist mein Meister, mein Gott, mein Herr,
Du bist mein Retter, den ich verehr!

Du gabst Dein Leben bis in den Tod,
Du hast gelitten in größter Not.
Wo ist die Antwort, die Dir gebührt,
wo ist der Jünger, der Dich stets ehrt?

Du suchst nach Herzen, Dir zugewandt,
die für Dich schlagen, oft unerkannt,
die sich Dir weihen mit ganzer Kraft.
Es ist nur Gnade, die solches schafft.

"Dein Kreuz nimm täglich - komm, folge mir!
Wenn du in Not bist, bin ich bei dir."
So machst Du Jüngern voll Liebe Mut,
die Du erworben mit Deinem Blut.

Dir will ich folgen, Du bist es wert,
einsichtig dienen, von Dir belehrt,
nicht an mich denken, denn Du allein
sollst für mich Vorbild und Führer sein.

Text: Manuel Seibel

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