18. Seine vierte Aussage am Kreuz
Drei Stunden ist es jetzt schon stockdunkel. Drei lange Stunden leidet der Heiland jetzt schon unter Gottes Gericht. Schonungslos wird Er bestraft. Dann ruft er in die Dunkelheit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Von Gott verlassen? Er? David schreibt einmal in Psalm 37: „nie sah ich den Gerechten verlassen“. War Er nicht der Gerechte schlechthin? Ja, das war Er! Sein Leben war tadellos. Wunderschön, von Ihm zu lesen, wie Er in allem, was Er dachte, sagte und tat vollkommen war. Und Gott hatte das mehrfach bestätigt. Den Himmel hatte Er sogar geöffnet und es laut verkündigt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ (Mt.3). Hier aber hat sich das Blatt gewendet. Gott hat Seinen Sohn verlassen!
Der Herr hat darunter gelitten, wie unter nichts anderem! In Psalm 22 drückt Er diese Leiden aus: „Mein Gott! Ich rufe am Tag, und du antwortest nicht und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.“ Oder in Psalm 88: „Ich aber, Herr, schreie zu dir […] Warum, Herr, verwirfst du meine Seele, verbirgst dein Angesicht vor mir? Ich bin elend und verscheide“ Er ruft zu Gott. Er bekommt keine Antwort! Der Himmel öffnet sich nicht. Es bleibt dunkel.
Anders war es bei „den Vätern“! Sie riefen in ihrer Not zu Gott und Gott antwortete. Er antwortete, indem Er sie rettete (Psalm 22,5-6). Sie waren unvollkommene und sündige Menschen – nicht zu vergleichen mit dem Heiligen Gottes! Und doch – sie werden gerettet. Er dagegen bekommt keine Antwort. Keine Rettung. „bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns?“ (Ps.22). Der einzig vollkommene Mensch wird hier auf Golgatha zu dem einzigen Menschen, der je von Gott verlassen wurde!
Die Antwort auf die Frage „warum?“ ist meine Sünde! Christus hat für meine Sünden gelitten. Der Gerechte für die Ungerechten (s.1.Pet.3,18). Und Gott? Wie kann Er seinen Sohn verlassen? Den Liebling Seiner Seele (Jer.12)? Die Antwort ist die Gleiche. Meine Sünde. Wie groß muss die Liebe Gottes zu mir sein! „er hat ihn leiden lassen.“ (Jes.53). Was für ein Werk.
Noch etwas bewegt mich an dieser Szene: Die Frage „warum hast du mich verlassen“ drückt die ganze Not des Heilandes aus. Er stellt sie, um mir einen Eindruck Seiner Leiden zu vermitteln. Aber Er kennt auch die Antwort! Und so, als wollte Er keinen Schatten auf das Handeln Gottes mit Ihm fallen lassen, sagt Er in Psalm 22 weiter: „Doch du bist heilig“. Mit anderen Worten: „Das, was Du tust ist richtig und gerecht! Weil Du heilig bist, weil Du Sünde nicht sehen kannst (Hab.1), musst Du Dich von mir wegwenden.“ Wie besonders strahlt selbst in den tiefsten Leiden – in dem Augenblick, wo das wahre Sündopfer außerhalb von Jerusalem verbrannt wurde, Seine Schönheit durch das Dunkel dieser Stunden.
Dichter haben diese Szene wunderbar zusammengefasst:
Dort hat dich Gott zerschlagen
in tiefer Finsternis,
und Du, Du musstest fragen,
warum Er Dich verließ:
Stets hast Du Ihm gefallen –
warum denn dies Gericht? –
warst heilig, rein in allem
und kanntest Sünde nicht!“
Du musstest es empfinden,
wie Gottes Zorn so schwer
für uns und unsre Sünden,
so viel wie Sand am Meer.
Du tratst an unsre Stelle
aus freier Lieb und Huld,
gabst Deine eigene Seele
für unsre Sünd und Schuld
Text Strophe 1: Egbert Brockhaus | Strophe 2: Jaques Erné
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